Logo PROGRESS Verlag Turmalinklang, Zeitschrift, Märchenbuch, Tiermärchen, Hasenbilder, Hase, Hase LIO

Inhaberin Dipl.- Ing. Sylke Wegener

Interview

Interview geführt von Catrin George, Publizistin, Autorin und Literaturaktivistin auf der portugiesischen Algarve

nachzulesen unter www.catringeorge.com

Eines Tages besann sich die Diplom- Ingenieurin Sylke Wegener, alias Michaela Bindernagel, ihrer Leidenschaft für Märchen. Und zwar Märchenerzählungen aus Westafrika, präzise aus Mali, wo sie als Teenagerin einige Jahre mit ihren Eltern in der Hauptstadt Bamako lebte. Dort lernte sie den „Heiligen Wald“ und seine Geschichten kennen und vor einigen Jahren beschloss sie, die geliebten Märchen aus Mali aufzuschreiben und in Buchform zu veröffentlichen.

Frage 1: Der Titel Ihres Buches - „Der Heilige Wald“ - hat eine ganz eigene und besondere Bedeutung und nur wer diese kennt, dem öffnet sich die afrikanische Märchenwelt. Verraten Sie uns mehr über das Geheimnis des Waldes?

Antwort: Der tropische Regenwald Westafrikas wird von den dort lebenden Völkern als „Heiliger Wald“ verehrt. Er ist ihre Lebensgrundlage, erfordert täglichen Kampf und bietet Essen, Trinken, Wohnen, Heil-, Schönheitsmittel und durch das Tauschen untereinander alles, was zum Leben benötigt wird. Ich habe den Begriff für diese westafrikanische Märchensammlung übernommen, auch wenn einige Märchen in der Savanne spielen.

Wald hat für mich schon immer eine eigene Faszination entwickelt, wobei ich Parkanlagen in einem erweiterten Sinn mit fassen möchte. Obwohl direkt am Meer geboren und aufgewachsen, fand ich unter Bäumen jederzeit Krafträume zum Regenerieren und sehr viel Inspiration. Wenn ich das Gefühl habe, mich fest halten oder etwas los werden zu müssen, umarme ich einen Baum. Dort finde ich wieder meine Mitte. In diesem Sinne sind auch die Wälder bei uns hier in Europa für mich heilig.

Das Märchenbuch ist mein behutsames Plädoyer für andere Kulturen und einen aktiven Natur- und Umweltschutz.

Frage 2: Märchen werden hauptsächlich mündlich überliefert, auch in unserer Kultur. Sprache diente vielen Völkern Jahrhundertelang als Instrument für Erinnerung und der Überlieferung für handwerkliche, geografische oder medizinische Kenntnisse. Erzählungen dienen als eine Art Aussichtsplattform mit Blick hinein in eine fremde Kultur oder in die Vergangenheit eines Volkes, eines Ortes. Welche Inhalte transportieren afrikanische Tiermärchen Ihrer Meinung nach vordergründig?

Antwort: Die afrikanischen Tiermärchen halten uns einen Spiegel vor. Es geht um den Umgang mit allem, was „anders“ ist. So sieht man im Hasen im heiligen Wald Westafrikas ein schlaues Tier. Doch macht er sich damit nicht jederzeit nur Freunde. In einem Märchen wird gezeigt, dass auch andere Tiere schlau sein können, eine entsprechende Arroganz unangebracht ist. Die Märchen transportieren, dass alles im Wald seine Daseinsberechtigung hat und gut und böse, schlau und dumm, relativ ist. In diesem Märchenbuch lacht selbst die Hyäne. Angsteinflößende Szenarien gibt es nicht, obwohl das Thema Sterben und Leben wie ein roter Faden hindurch läuft.

Frage 3: Ihr Großvater war Bibliothekar und hat Sie an Literatur und Lesen, und speziell an Märchenkultur, herangeführt. Was sind Ihrer Meinung nach die auffälligsten Unterscheidungsmerkmale zwischen Deutscher und Afrikanischer Märchenkultur und haben Sie außerdem noch Einblick in andere Märchenkulturen gewinnen können?

Antwort: Ja, ich habe Märchen aus sehr vielen Ländern gelesen und mich mit ihnen befasst. Mich faszinierte, dass sowohl in Afrika wie auch in Lateinamerika oder Asien Fabeln, also Tiermärchen, oder Tiere in Märchen, eine andere Bedeutung haben, als in unserer mitteleuropäischen Märchenkultur. Es gibt einen innigeren Bezug zur Umwelt. Ob es nun in Argentinien der Affe ist, der im Regenwald nicht nass werden will oder an den großen Flüssen Chinas Fische im Mittelpunkt vieler Märchen stehen, bilden Fabeln in Mitteleuropa ein besonderes Genre der Dichtkunst. Das geht auf den Griechen Äsop zurück, der am Königshof Gleichnisse nutzen musste, um menschliche Schwächen zu charakterisieren. Letztlich wurde er dennoch wegen „Gotteslästerung“ ermordet. Lessing und de la Fontaine griffen diese Art der Fabeln in der Zeit der Aufklärung ganz bewusst wieder auf.

Der wesentliche Unterschied zu Tieren in europäischen Märchen besteht darin, dass kein Tier stigmatisiert wird. Der Hase ist zwar schlau, doch die Spinne kann es auch. Der Löwe ist furchteinflößend, aber nicht immer. Er kann auch feige sein usw.

Frage 4: Fabeln, Sagen, Mythen. Wie mythisiert ist das westafrikanische Erzählgut? Gibt es Figuren oder Tiere die wiederholt als Symbol für einen bestimmten Sinn und Zweck auftauchen, ähnlich der bösen Hexe oder dem bösen Wolf in der Deutschen Märchenkultur, um Kindern Angst einzujagen, wenn sie nicht lieb sind, oder baut sich das Innere im Wort verborgene rund um die Botschaft der Afrikanischen Märchenwelt anders auf?

Antwort:In den afrikanischen Märchen geht es nicht darum, Kindern Angst einzuflößen, sondern das Überleben zu sichern, also jeden zu befähigen, jederzeit das Notwendige zu machen. Die Aussagen eines Märchens sind sehr vielschichtig. Die Pantherkönigin tyrannisiert alle Tiere, um das Überleben ihrer Kinder zu retten. Gleichzeitig bringt sie sich selbst genau dadurch in Gefahr und muss dann die kleinen Panther hilflos zurück lassen. Parallel finden wir die Aussage, dass Klugheit die Tyrannin besiegen kann. Es stellt sich die Frage, warum große und starke Tiere feige sind wie auch die Frage des Verrats oder der Verantwortung.

Eine Fabel von Lessing oder Äsop hebt regelmäßig auf eine menschliche Schwäche ab, woraus sich dann die berühmte „Lehre aus der Geschichte“ ergibt. Aus den Märchen des Heiligen Waldes gibt es diese eine Lehre nicht. Hier finden wir eine sehr vielschichtige Betrachtung sowohl des menschlichen Handelns als auch der Umwelt, die uns umgibt. Heute würde man wahrscheinlich sagen, dass alles mehr „vernetzt“ ist. Selbstverständlich gibt es wiederkehrende Gestalten, wie eben den schlauen Hasen oder die Teufelin, also die Frau des Teufels. Doch niemand ist per se gut oder schlecht. Der Löwe wird nicht immer zum König gewählt und die Teufelin verhilft schließlich dem Hasen wieder zu seinem Schwanz, den er verloren hatte.

Deshalb habe ich auch bei den Illustrationen großen Wert darauf gelegt, dass keine angsteinflößenden Bilder entstehen. Selbst die Hyäne lacht! Die Afrikanischen Tiermärchen sollen nicht durch Angst erziehen, weil Angst lähmt, was in ihnen durchaus sehr bildlich dargestellt wird. Sie sind Unterhaltung, Mythos, Geschichte und Gegenwart.

Frage 5: Sie sagen, Märchen wären für Erwachsene geschrieben. Worauf begründet sich diese Analyse und ist sie Ihrer Erfahrung gemäß, grundsätzlich in jeder Märchenkultur gültig?

Antwort:Ich halte diese Aussage für allgemeingültig. Besonders deutlich wird es in den „Märchen aus 1001 Nacht“. Dort will der erwachsene Sultan jede Nacht von seiner ebenfalls erwachsenen Frau ein Märchen hören, die im Übrigen im Original in einer zauberbildhaften Sprache verfasst sind.

Märchen entstanden zu einer Zeit, als nur wenige Menschen lesen und schreiben konnten. Sie wurden mündlich weiter gegeben und waren damit Veränderungen unterworfen. So entstand häufig der märchenhafte Charakter erst im Laufe der Zeit. Ursprünglich waren es Geschichten oder Anleitungen zum Handeln. Sie wurden an Lagerfeuern, in Hütten und Palästen erzählt. Schon immer haben Menschen Wert darauf gelegt, ihre Kenntnisse an andere weiter zu geben, Erwachsene wie Kinder. Darauf begründet sich wesentlich unsere Weiterentwicklung als Mensch.

In Form eines Märchens, ähnlich wie durch eine Religion, gelang es über sehr viele Generationen, weil sich Rituale herausbildeten und es eine gesellige Unterhaltung war. Das würde ich gern wiederbelebt wissen, Kinder und Erwachsene gleichberechtigt gemeinsam.

Kinder sind durchaus in der Lage, kompliziertere Sachverhalte zu verstehen. Es liegt ausschließlich an uns Erwachsenen, sie ihnen nahe zu bringen, ohne in eine Babysprache zu verfallen. Das gut gemeinte kindisch- kitschige Erzählen und Bebildern degeneriert unsere Kinder. Sie verfügen über einen noch unverbauten Blick für das Besondere und eine beinahe grenzenlose Phantasie, die ihnen ein Verständnis ermöglichen, das wiederum uns Erwachsene bereichern kann. Schließlich können Kinder fragen, wenn sie etwas nicht verstanden haben.

Es ist meiner Meinung nach aus entwicklungsgeschichtlicher Sicht so, dass Märchen für Erwachsene erzählt und geschrieben und Kindern nahe gebracht werden. Denken wir an Äsop, Lessing, de la Fontaine und andere.

Frage 6: Sie waren zuvor jahrelang als Fachautorin im technischen Bereich tätig. Was gab den Anlass, das Genre zu wechseln?

Ursachen sind meine Liebe zur Literatur und zum Schreiben seit Kindheitszeiten, das Märchen erzählen für meine drei Kinder und meine Enkel, die Erkenntnis, dass immer mehr Erwachsene keinen Zugang zu den Märchen haben und immer mehr Kinder ohne Märchen groß werden, die entsprechenden Angebote im Buchhandel zumeist billig verkitscht sind. Anlass war die Inspiration meiner damals 8- jährigen Enkeltochter, in der ich mich als Kind vielfach wiedererkenne mit meiner Liebe sowohl zu Mathematik und Physik als auch zu Literatur und Musik. Sie beflügelte meine Phantasie wieder.

Frage 7: Gibt es neben den afrikanischen Märchen schon andere Projekte in Vorbereitung und Planung?

Momentan schreibe ich an einem Buch mit 13 Feenmärchen. Acht davon sind bereits in der Rohfassung fertig. Hierbei geht es vor allem um Veränderung und Wandlung. Doch mehr wird noch nicht verraten.

Wieder wird der schlaue Hase Lio durch das Buch führen. Seine Auftritte sollen weitere Anregungen geben für ein aktives Leben von groß und klein in unserer heutigen Umwelt.

Dafür und für alle weiteren Projekte wünschen wir Ihnen viel Glück!

Vielen Dank für Ihre Antworten und Ihre Offenheit, liebe Sylke Wegener, wir freuen uns auf Sie und Ihr Buch am 21. Juni in der Deutschen Schule Algarve (DSA), und am 29. Juni in der Biblioteca Aljezur in den Räumlichkeiten von Tértulia